7-Tages-Sesshin als erster Jikku
Vor ziemlich genau >> 4 Jahren habe ich zum ersten Mal eingecheckt. Im Zen Kloster in Buchenberg zu einem Leadership Zen Seminar. Heute bin ich fester Teil der Sangha (das ist quasi die Zen Community) und habe gerade mein erstes 7-Tages-Sesshin als erster Jikku (das ist der, der die Meditationen leitet) hinter mich gebracht. Zen hat mein Leben nachhaltig verändert. Weniger äußerlich, als vielmehr innerlich. Wobei, wenn ich genau nachdenke: es gibt tatsächlich das „Zen-Gesicht“! Nach einer Woche Meditation sieht man nämlich ganz anders aus als vorher. Die meisten sagen jünger. Ich sage frischer und klarer. Vielleicht kommt das vom „Nicht-Denken“, denn wenn man nicht denkt, macht man auch keine Falten, oder? Zumindest ist das die Meinung von Reiko Mukai Osho, dem japanischen Lehrer meines Zenmeisters Hinnerk Polenski. Er muss es wissen, er ist weit über 70 und hat gar keine Falten!
Aber was passiert eigentlich bei so einem Sesshin?
Man kann sich ein Sesshin als 7-tägiges Zen Seminar vorstellen, in dem in erster Linie meditiert wird. Und das ganz schön lange.
Los geht‘s um 4 Uhr früh. Kaijo bedeutet Aufstehen, Waschen, Anziehen, usw. bevor es in die Zendo (Meditationsraum) geht. Dort läutet um 4.30 Uhr der Jikku die erste Runde des Tages ein. Stilles Zazen (=Sitzmeditation) steht auf dem Programm, 50 Minuten mit einer 30-sekündigen Minipause zum Umsetzen oder Beine auslockern. Stilles Zazen ist immer freiwillig, natürlich nicht für den Jikku (also mich), der muss immer ran. Macht aber nichts, denn stille Zazen in der Früh ist meine Lieblingseinheit. Wenn die Natur noch schläft ist es SEHR still. Dann erwacht der Tag. Plötzlich machst Du die Augen auf und es ist hell. Ziemlich cool.
Gehmeditation im Dunkeln
Ab 5.30 Uhr startet dann das Pflichtprogramm für alle: Rezitation, Teezeremonie (Sarei) und Kinhin. Das ist die Gehmeditation, die – ehrlich gesagt – ziemlich bescheuert aussieht. Alle gehen im Gänsemarsch durch die Zendo oder nach draußen. Früher fand ich das eher peinlich, heute liebe ich diesen ziemlich flotten Marsch in der frischen Morgenluft. Kinhin ist ein typischer Do, also Meditation in Bewegung.
Es ist Mitte Oktober und um 6.30 Uhr immer noch ziemlich dunkel. Ich soll die Gruppe anführen. Gott sei Dank ist das Wetter schön und die Morgendämmerung sagt dem Vollmond Adieu. Ziemlich magisch, v.a. wenn man das Kinhin mit kleinen Wahrnehmungsübungen wie „Nur Sehen“ aufpeppt.
Essen in Schweigen
Mit Zazen geht‘s weiter bis zum Frühstück. Jeder erwartet dann schon sehnsüchtig das Klangzeichen vom Kanto, das mir signalisiert: Ausläuten und im Kinhin ab zum Frühstück.
Die Essen werden in Schweigen eingenommen. Ich mag das. Am Anfang ist es ein bisschen komisch, aber inzwischen genieße ich es mich ganz auf mein Essen konzentrieren zu können.
Nach dem Frühstück ist erstmal Pause. Zum Sporteln, Schlafen, Lesen, usw.
Taiwa und Dokusan
Zurück in der Zendo geht‘s am Vormittag mit Taiwa-Training weiter. Das ist das Einzeltraining mit der Meditationslehrerin. Für mich als Jikkus wird‘s jetzt stressig, denn an mir liegt es die Einteilung vorzunehmen. Die Plätze sind begehrt, die Zeit meistens begrenzt. Irgendwie habe ich immer das Gefühl, dass jemand zu kurz kommt. Aber das ist wohl meine Zen-Übung….
Gesteigert wird das Ganze nur noch, wenn der Zen Meister kommt. Dann gibt‘s nämlich Dokusan (sprich Dok‘san), da Zwiegespräch mit dem Meister. Da heißt es in Sekundenschnelle festzulegen, wer gehen darf und wer noch warten muss. Manchmal kommen zusätzliche Anweisungen direkt vom Zen Meister, die meine „Einteilungspläne“ wieder über den Haufen schmeißen. Aber das ist Zen. Immer schön flexibel und gelassen bleiben.
Dokusan selbst ist ziemlich aufregend. Es geht darum, sein Anliegen in nur wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen. Es geht also um die Essenz und das Wesentliche. Auch das ist Zen. Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden lernen.
Entspannender ist das schon das Teisho (Vortrag) oder Darshan, das gemeinsame Meditieren mit dem Zenmeister. Ein Teisho ist meistens ziemlich berührend und löst irgendetwas bei einem aus. Das gibt einen neuen Impuls für die eigene Meditation und führt nicht selten zu einer besonderen Erfahrung.
Die Form muss sitzen
Eine der wichtigsten Aufgaben des ersten Jikkus ist es, den Neueinsteigern die richtige Form beizubringen. Darunter versteht man die Art und Weise, wie man sich in der Zendo bewegt und wie man richtig in Meditation sitzt. Dabei muss ich richtig streng sein, denn ohne Form keine gute Meditation. Daraufhin gilt es ein gutes Energiefeld in der Zendo aufzubauen und dieses mit Hilfe der anderen Jikkus zu halten. Das erfordert Konzentration, aber auch eine Portion Hingabe. Immerhin sitzen über 40 Personen in der Zendo.
Ab in den „Tunnel“
Nach den ersten zwei Eingewöhnungstagen nimmt das Sesshin Fahrt auf. Die Form sitzt, man kann sich mehr auf die eigene Übung konzentrieren. Jetzt sind wir im „Tunnel“. So fühlen sich die Tage 3-6 nämlich an. Täglich der gleiche Ablauf:
Stilles Zazen, Rezitation, Tee, Zazen, Taiwa, Frühstück, Pause, Teisho, Zazen, Kinhin, Mittagessen, Samu, Pause, Zazen, Darshan, Dokusan, Abendessen, Zazen, Kinhin, Rezitation
Um 22 Uhr ist Schluss. Na ja, nicht ganz. Denn dann kommt Yaza, das Sitzen in der Nacht. Yaza ist in der Regel freiwillig. Es geht ums Loslassen. Keine Übung mehr, keine Form mehr. Einfach nur Sitzen in Leichtigkeit und Freude. Um ehrlich zu sein klingt das für die meisten Teilnehmer befremdlich. Leichtigkeit und Freude, wenn die Beine und der Rücken eh schon schmerzen? Ich sag‘s ganz ehrlich: ich bin kein ausgesprochener „Nachtsitzer“, aber diesmal habe ich es sehr genossen. Man gleitet quasi in die Nacht und schläft danach wunderbar. Und oh Wunder, irgendwann sind die Schmerzen weg!
Samu Arbeit schult Zen im Alltag
Übrigens: jeder der Teilnehmer übernimmt während eines Sesshins eine kleine Aufgabe. Es gibt die Handaikan (Küchenteam), das Denzu-Team (die halten die Zendo sauber), die Jishas (Teegeber) oder die Jokeis (das ist die Band), usw.
Jeden Nachmittag gibt‘s darüberhinaus Samu-Arbeit. Das sind kleine Tätigkeiten, bei denen man „Zen im Alltag“ üben kann, z.B. Unkraut jäten, Fenster putzen oder Bäume pflanzen. Die meisten schätzen Samu sehr, denn es ist super entspannend eine einfache Tätigkeit auszuführen ohne dass es auf das Ergebnis ankommt. Vielmehr schult man das „Ganz-bei-sich-im-Augenblick-sein“.
Kommunikation von „Herz zu Herz“
Die Gruppe wächst von Tag zu Tag mehr zusammen. Obwohl meistens geschwiegen wird, lernt man sich immer besser kennen. Die Kommunikation passiert von „Herz zu Herz“. Ishin Denshin nennt man das im Zen. Augenkontakt ist wichtig, deshalb mag es der Zen Meister auch nicht, wenn man mit Sonnenbrille rumläuft.
Von der Strenge in die Leichtigkeit
Mit den Tagen verliert man jeglichen zeitlichen Bezug. Ist heute Montag? Oder schon Dienstag? War das tolle Teisho gestern oder vorgestern? Ich sag’s ja, man ist im Tunnel….
Irgendwann ist Mittwoch. Fünf Tage intensives Hara-Training liegen hinter uns. Hara zu trainieren bedeutet an seiner Power, an der Kraftmitte zu arbeiten. Der erste Meilenstein im Zen. Unglaublich wichtig, denn „im Hara zu sein“ bedeutet mit beiden Beinen am Boden zu stehen und fest im Leben verankert zu sein.
Heute gehen wir in die Leichtigkeit über. Das spürt jeder Teilnehmer. Die Anstrengung fällt zunehmend ab und plötzlich liegen die Antworten auf alle Fragen sonnenklar vor einem.
Als Jikku darf ich jetzt meine sanftere Seite zeigen. Doch das kann auch mal nach hinten abgehen. Wenn man es übersieht, können die Teilnehmer die Konzentration nicht mehr halten. Eine Teilnehmerin fängt plötzlich wie wild an zu lachen und steckt dabei ihre Nachbarin an. Gott sei Dank ist Britta als zweiter Jikku an meiner Seite. Sie ist ein richtig alter Hase und seit 13 Jahren dabei. Gemeinsam schaffen wir es, dass wieder Ruhe eingekehrt in der Zendo.
Der Höhepunkt: die Schülerzeremonie
Donnerstag ist Celebration Day. Wir feiern, dass wir es geschafft haben unsere Grenzen zu überwinden und der großen Befreiung einen Schritt näher gekommen zu sein. Höhepunkt ist die Schülerzeremonie. Schüler zu werden bedeutet eine Abmachung mit sich selbst zu treffen, den Zen Weg gehen zu wollen. In der Praxis heißt das: 25 Minuten Zazen am Tag. Die Zeremonie unterstützt dieses Vorhaben. Es ist ein ganz besonderer Moment, wenn der Zen Meister mit einer kurzen Berührung die so wichtige Bestärkung dieses Vorhabens vornimmt. Kann man nur schwer beschreiben.
Nach der Zeremonie ist Party angesagt. Jetzt fällt die allerletzte Anstrengung ab, das Schweigen ist aufgehoben, es wird gratuliert, gedrückt und viel geplaudert. Jetzt zeigt sich bei jedem das Zen-Gesicht. Ich finde das immer wieder erstaunlich, welche Veränderung in diesen Tagen mit den Teilnehmern passiert.
Endlich mal loslassen
Auch als Jikku kann ich mich jetzt zunehmend entspannen. Eine meiner letzten Aufgaben ist die Leitung der Feeback-Runde am Abend. Während wir die Woche Revue passieren lassen, wirft Jan die Fotos der ganzen Woche an die Wand. (Vielen Dank an dieser Stelle an Jan fürs Zuverfügungstellen der Bilder!). Für uns als Jikku-Team ist das nochmal ein bisschen aufregend, denn schließlich zeigt sich erst jetzt, ob wir die Teilnehmer optimal unterstützen konnten.
Alles bestens, die Teilnehmer sind happy, wir sind happy.
Am letzten Tag: „Ausschlafen“
Am nächsten Morgen dürfen wir „ausschlafen“. Wir beginnen erst um 6.30 Uhr mit der ersten Morgeneinheit. Dann geht alles ganz schnell: Frühstück, Auschecken und um 9 Uhr eine letzte Runde Zazen.
Der Jikku spricht ein paar letzte Abschiedsworte während der Meditation. Natürlich möchte ich den Teilnehmern noch eine letzte Message mitgeben. Ich bin fast ein bisschen aufgeregt, denn schließlich geht auch hier wieder darum die Sache auf den Punkt und am besten ins Herz zu bringen.
Es dürfte funktioniert haben. Als wir uns verabschieden, gibt‘s da und dort ein paar feuchte, aber vor allem strahlende Augen.
Erschöpft und erfüllt
Ich fühle mich etwas erschöpft, aber auch erfüllt. Es bereitet mir eine große Freude andere Menschen auf ihrem Weg unterstützen zu können. Ich bin aber auch selbst wieder bestärkt auf meinem Weg. Die Energie vom Sesshin schwingt noch einige Monate nach und ich weiß, dass ich die nächsten Wochen voll durchstarten kann. Ich freue mich auch schon wieder aufs Sitzen in unserer Zen Lounge, ob als Jikku oder Teilnehmer ist egal. Der Weg bleibt der Gleiche.